Ciumara Ranni – Siziliens erstes Ökodorf des 21. Jahrhunderts

Auf der Flucht vor dem deutschen Winter und auf der Suche nach einer neuen Lebensweise begab ich mich im Oktober 2012 auf den Weg nach Sizilien. Dort wollte ich nicht nur griechische Tempel und römische Theater bestaunen, am Strand liegen und das gute sizilianische Essen genießen – dies tat ich tatsächlich ausgiebig – vielmehr wollte ich eine Gemeinschaft kennenlernen, die den Sprung ins Aussteiger-Dasein geschafft hat und nun im trockenen Sizilien einen kleinen Garten Eden bewirtschaftet.

Hupende Autos brausten an mir vorüber, Straßenhändler priesen ihre Ware an und eine junge Frau mit zwei Kindern im Schlepptau streckte mir bettelnd einen Pappbecher entgegen. Mitten im geschäftigen Stadtleben von Catania, wo Armut, Verkehrs- und Müllprobleme zum Alltag gehören, stand ich und wartete auf meine Mitfahrgelegenheit ins Ökodorf „Ciumara Ranni“. Beim Stöbern im Internet war ich auf die Seite der Kommune gestoßen, wurde neugierig und lud mich schließlich selbst ein. Roberto, eines der drei Gründungsmitglieder, hieß mich zunächst via E-Mail herzlich willkommen – und so auch jetzt, als er mit seinem voll bepackten Auto vor mir hielt. Ich quetschte mich und meinen Rucksack zwischen allerlei Hausrat vom Sperrmüll und schon ging es los. Von Catania, der zweitgrößten Stadt Siziliens fuhren wir gen Süden nach Sortino, einer Kleinstadt. Von dort aus waren es nur noch ein paar Kilometer über Straßen, die immer holpriger wurden und die Bezeichnung „Straße“ schon fast nicht mehr verdienten, bis wir schließlich in der Pampa, oder besser gesagt, der Natur ankamen. Und was für eine Natur! Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, nach dem Namen welcher Pflanze ich mich zuerst bei Roberto erkundigen sollte! Es war eine Wohltat, nach all dem städtischen Grau nun so viel Grün um mich herum zu sehen! Den Rest des Weges legten wir zu Fuß zurück, auf Trampelpfaden passierten wir Ruinen kleiner Steinhäuschen, balancierten auf Steinen über einen kleinen Fluss und kraxelten eine Anhöhe hinauf. Und tada! Da war sie endlich, La Ciumara Ranni! (was übrigens sizilianischer Dialekt ist und „Der Große Fluss“ bedeutet.)

In aller Heruntergekommenheit erhaben stand ein großes Haus am Hang des Berges. Von der Terrasse aus hatte ich einen guten Blick über das Tal, in welches sich verborgen hinter Dornen und Gestrüpp der Garten erstreckte. Weiter unten, von hohen Bäumen und dichter Vegetation umgeben plätscherte der Fluss. Es war ein Paradies, wie ich noch keines gesehen hatte! Zugegeben, ein recht wildes und stacheliges Paradies, große Flächen waren von Brombeerranken und Schlingpflanzen übersät und dadurch nicht begehbar. Zu lange hatte sich niemand um das Land und die ungefähr zwanzig kleinen Häuschen gekümmert, die im Tal verstreut lagen. Vor Ewigkeiten waren dies die Ferienhäuser der Leute aus Sortino gewesen. Jene kommen nun aber nicht mehr hier her, manche weil sie zu alt sind, die meisten allerdings aus Bequemlichkeit und mangelndem Interesse.

Roberto

Roberto ist mit zwei Freunden im Februar 2012 in eines der besser erhaltenen Häuser eingezogen (die Freunde sind auch bald wieder ausgezogen). Vorher haben die drei versucht, so viele der Landbesitzer wie nur möglich um Erlaubnis zu bitten. Von denen, die sie ausfindig machen konnten, bekamen sie positives Feedback. Die meisten freuten sich, dass ihr Land wieder genutzt werden würde – wenn sie auch Roberto & Co als Tagträumer und Spinner ansehen und immer noch darauf warten, dass auch der letzte seine sieben Sachen packt und anerkennt, dass das Leben da draußen in der Natur zu schwierig ist. Es gibt aber auch Leute, die Vertrauen in das Projekt haben. Als Roberto sich kürzlich mit einem der Hausbesitzer traf, um ihm vorzuschlagen, dass er in die Renovierung des Häuschens investiere und dafür vom Besitzer Land in Höhe seiner finanziellen Investition übertragen bekomme, meinte dieser, er hätte eigentlich vorgehabt, der Kommune sein Grundstück ganz zu schenken. Ein besseres Angebot kann man sich gar nicht vorstellen! Trotzdem bleibt die Unsicherheit über die restlichen Grundstücke. Was, wenn irgendwann einer der Eigentümer auf den Geschmack kommt und sein Land selber bewirtschaften will? – Nun, das wäre ein Glücksfall!

Kaki-Ernte

Denn Land und Arbeit gibt es genug, Platz im Haus ebenso – es mangelt nur an Menschen, die bereit für ein Leben mit und in der Natur sind. Nachdem Robertos zwei Mitstreiter den Nagel an die Wand gehängt hatten, blieb der Sizilianer nicht lange allein. Genau genommen hat er ständig Besuch. Viele seiner Freunde, die sich für einen alternativen Lebensstil interessieren, kommen am Wochenende vorbei. Mit ihrer Hilfe lassen sich Projekte wie der Bau eines Lehmofens oder einer Kompost-Toilette in kurzer Zeit verwirklichen. Außerdem versteht es Roberto recht gut, Werbung für sein „Ecovillaggio“ zu machen und so kommen immer wieder Besucher aus ganz Europa, die für eine Weile mit ihm leben und arbeiten. Aber eben nur für eine Weile, nicht auf Dauer. Es gab noch keinen Gast, der nicht begeistert war und staunend meinte: „Hier ließe es sich leben!“ Aber genauso wenig hat bisher jemand aus dem Konjunktiv einen Indikativ gemacht und sich wirklich häuslich niedergelassen. Das Dorf braucht Dorfbewohner, die Gemeinschaft braucht Mitglieder! Wenn ich also von einer „Kommune“ oder einem „Ökodorf“ spreche, dann meine ich damit eher das Projekt, die Vision. Roberto, der sich selbst als „amministratore“ (Verwalter) sieht, träumt von einem autarken Dorf mit einer Schule, Freilichttheater, Kulturhaus usw.

Hügelbeete

Der Grundstein, der Garten, ist schon gelegt bzw. gepflanzt. In der Nähe des Flusses (welcher übrigens so klar und sauber ist, dass das Wasser für alles, auch zum Trinken, genutzt werden kann) sind lange Hügelbeete in verschiedenen Formen angelegt. Dort wächst und gedeiht nun allerlei Gemüse und Salat. In der Umgebung gibt es viele Walnussbäume und einen „agrumeto“, eine Plantage mit den unterschiedlichsten Zitrusfrüchten. All das, plus die verschiedenen Wildkräuter decken täglich den Tisch der „Ciumara“, sodass Roberto nicht ohne Stolz bemerkt, dass er zu gut 80% Selbstversorger ist. Eingekauft werden nur Pasta, Reis, Mehl und einige wenige Dinge, die man sonst noch so zum Kochen braucht. Anspruchsvolle Gourmets, wie die Sizilianer nun mal sind, lässt auch Roberto es sich nicht nehmen, für seine Freunde die interessantesten veganen Gerichte zu zaubern.

Gekocht wird auf den selbst gebauten Lehmöfen, wovon es inzwischen vier verschiedene gibt: einen Ofen zum Brotbacken, zwei kleine Herdstellen für draußen („Rocket stove“ genannt) und eine wunderbare Erfindung, die gleich mehrere Zwecke erfüllt, namens „Rocket stove mass heater“ beziehungsweise „Ciamma Ranni il Cucinaletto“. Dieser Neologismus in palermitanischem Dialekt erklärt wohl am besten, was es mit dem Ofen auf sich hat: übersetzt heißt er „Große Flamme, das Küchenbett“, denn es handelt sich um einen Ofen in Form eines Sofas. Bevor der Rauch über den Kamin nach draußen steigt, wird er quer durch ein Tunnelsystem im Sofa-Anbau geführt. Besonders an den kühlen Novemberabenden habe ich es genossen, auf jenem Ofenannex zu sitzen, mich zu wärmen und Roberto dabei zuzuschauen, wie er am andern Ende des Ofens das Abendessen zubereitete.

Auf Nachfrage bietet Roberto seine autodidaktisch erworbenen Fähigkeiten im Ofenbau auch an. Allerdings bleibt dazu fast keine Zeit, denn in „Ciumara Ranni“ gibt es noch viel zu viel Arbeit. Das Haus will renoviert werden, der Permakultur-Garten braucht Pflege und neues Terrain muss erschlossen werden, um den Garten zu vergrößern. Als wäre das noch nicht genug, haben wir im Herbst ein Experiment zum Anbau von Getreide nach einer Methode Fukuokas gestartet.

Weg in den Garten

Es macht viel Arbeit, dieses Leben in der Natur. Sehr viel sogar. Das ist vielleicht der Grund, weshalb sich so wenige Menschen dafür entscheiden in „Ciumara Ranni“ zu bleiben. Während der gut vier Wochen, die ich dort war, habe ich wohl mehr gearbeitet und meinen Körper stärker herausgefordert als jemals zuvor. Aber ich hatte auch noch nie vorher gespürt wie beglückend und befriedigend es sein kann, eine wirklich sinnvolle und lebenswichtige Tätigkeit zu verrichten. Vom Holzsägen bis zum Kräutersammeln habe ich alles durchweg gern getan, es hat schlichtweg Spaß gemacht.

Für mich war die Zeit dort in der Natur eine unglaublich bereichernde Erfahrung. Nicht nur, dass ich für mich selbst viel gelernt habe – ich habe mir auch ein ganz neues Bild von der süditalienischen Insel machen können. In „Ciumara Ranni“ habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass Sizilien das Potential zu einer grünen Insel hat. Statt Armut und Trockenheit können dort paradiesische Zustände und Überfluss an besten Lebensmitteln herrschen! Permakultur und Mut zum Verrücktsein machen’s möglich!

 

Dorothea Baumert

31. Januar 2013 von Christa Jasinski
Kategorien: Allgemein | 16 Kommentare

Kommentare (16)

  1. Wow!
    Ob Roberto teutsch spricht?
    Dann überlege ich mir, meinen Jahresurlaub zum Knechten bei ihm zu berbringen ;–))

    Liebe Grüße
    Gerhard laib

  2. berbringen –> verbringen schäm, schäm

  3. Nunja, Roberto spricht so allerlei Sprachen (Englisch, Litauisch, Bulgarisch, Mandarin …), aber Deutsch eher weniger. Du kannst es ihm ja beibringen 😉

    Liebe Grüße

  4. moin moin dorothea:)
    kannst du mir eine kontaktadresse von roberto zukommen lassen?
    greetz
    vinni

  5. Liebe Dorothea,

    was für ein spannender und interessanter Bericht, der Lust auf Sizilien macht! Ich habe ihn mit großer Freude gelesen!

    Mit lieben Grüßen aus den Niederlanden

    Linda

  6. Hallo Dorothea,
    sehr interessant.
    Aber wie weit kann man sich dort mit dünnem Englisch und Muttersprache Deutsch integrieren?
    Herzliche Grüße Lars

    • Hallo Lars!
      Einbisschen Englisch und ansonsten Hand&Fuß reichen fürs Nötigste. Aber wenn du eine erfüllende Unterhaltung haben willst, solltest du entweder gutes Englisch oder Italienisch sprechen. Roberto selber spricht viele Sprachen, aber Deutsch nicht wirklich. Die andern, die ich dort kennenlernte, waren eher zurück haltend mit Fremdsprachen.
      Beim Reisen merke ich aber oft, dass man selbst ohne Worte viel sagen kann und man in einer Gemeinschaft die Sprache schnell lernt.
      viele Grüße.
      thea

  7. Hallo Dorothea,
    so ein schöner Bericht <3 <3 <3 ich habe vor mitte Februar nach Sizilien zu Reisen und bin gespannt ob ich ein paar Wochen bei Roberto bleiben kann.
    Ich habe einen Hund dabei, denkst du das ist ein Problem ?
    Wir haben hier in Bayern einen kleinen Hof der auch als Ziel hat sich selbst zu Versorgen,letztes Jahr war es schon ganz gut 🙂 beim mithelfen würde ich sicher wieder einiges dazu lernen, fange jetzt mal an Italienisch zu lernen und werde dann in Italien noch einiges mehr dazu lernen
    Hast du noch konntakt ?
    Liebe Grüße Doana

  8. hallo, möchte gerne im Oktober dort vorbeischauen. dein artikel hat mich inspiriert dazu. gibt es die gruppe noch? ciao rudi

  9. Liebe Doana und lieber Rudi,
    tut mir leid, dass ich so spät erst antworte. Ja, die Gruppe gibt es noch, sie ist sogar gewachsen und Hilfe brauchen die immer. Auch wenn man dort arbeitet, sollte man sich an den Kosten fürs Essen mit beteiligen. Hunde sind eher schwierig, das ist Verhandlungssache. Manchmal erweicht sich Roberto.
    Schaut mal für mehr Infos hier: http://ciumararanni.it
    und auf Facebook: https://www.facebook.com/ecovillaggio.ciumararanni

    Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr hinfahren und Robi lieb von mir grüßen würdet!
    Viele Grüße
    Thea

  10. hallo,
    auf der Suche nach Parmakultur auf Sizilien bin ich hier gelandet. da die letzten Einträge 2015 waren, hoffe ich, das das Ökodorf weiter gewachsen ist.
    Ich lebe seit einem Monat auf Sizilien und möchte Roberto besuchen.
    Mein Wunsch und Ziel ist im Süden (Region Ribera) Permakultur zu praktizieren, da ich selbst seit Jahren nur noch auf Bio vertraue. Ich habe begonnen EM zu verwenden. Habe 5 Jahre in Deutschland Erfahrung und suche nach Bewässerungsmöglichkeiten. Ziel ist wiederum hier Regenwasser aufzufangen und im Kreislauf arbeiten zu lassen. Meine Frage ist: hat Roberto hierzu Erfahrungen und wendet er sie an? Vielleicht erübrigt sich die Antwort, denn ich habe noch nicht auf die Homepage geschaut…

    liebe Grüße
    Karin

    • Hallo, ich bin auch auf der Suche nach Roberto und seinem villagio (im Netz) Die angegebenen Seiten scheinen aber nicht mehr zu existieren. (: Wenn jemand eine bessere Info dazu hat, informiert mich doch gerne. Eine ökologische Dorfgemeinschaft dort in Südsizilien suchen wir schon länger.

  11. Hallo, wo lebt Ihr genau. Kann man bei Euch einsteigen ?

  12. Ciao tutti,
    bin erstaunt, nach mehr als 4 Jahren (!) etwas zu hören……
    Ciao
    Rudu

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