Individualität und Sprache

Innerer Wandel von außen betrachtet

Leben in Bewegung meint,

das stetig nur die Wandlung eint.

Was sichtbar unser Auge streift,

verdeckt erst ward herangereift.“

Die Welt ist im Wandel. Diese Aussage ist bekanntlich nicht neu und die Tatsache, dass die Welt sich stetig im Wandel befindet, überrascht sicherlich demnach niemanden. Dennoch ist es so, dass sich immer mehr Menschen dessen im Klaren sind, dass sich auf der Erde ein innerer, ein geistiger Wandel vollzieht und dass dieser rasch und gewaltig vor sich geht. Dabei kann man verschiedene Ausprägungen dieses Wandels beobachten, je nachdem aus welchem Blickwinkel man das Geschehen betrachtet.

Auf der einen Seite beklagen die Menschen einen zunehmenden sozialen Verfall, ein Nachlassen der Moral innerhalb der Gesellschaft und einen zunehmend degenerativen Zustand bei der Jugend. Hier in Deutschland kann man täglich belauschen, wie unsere Muttersprache zu einer Art Kauderwelsch zu verkommen scheint, wie eine ehemals klare Aussprache und deutliche Sätze zu einer seelenlosen Aneinanderreihung von leeren Worthülsen zu verfallen droht. Der stumpfe Materialismus einer gedankenlosen Konsumgesellschaft gibt sich hier die Ehre. Auf der anderen Seite treffen wir eine generationsübergreifende Umgestaltung der Weltsicht an, eine Neuorientierung hin zu esoterischen und spirituellen Themengebieten, die bisweilen in totaler Ablehnung des materiellen Daseins endet und uns alles Irdische als Illusion, als Hindernis darstellen möchte. Hier wird häufig eine spirituelle Einheit in Verbindung mit einer Wünsch-dir-was Philosophie proklamiert, die jedwede Individualität in den Hintergrund stellt und damit einem altbekannten Kollektivismusgedanken – nur unter veränderten Vorzeichen – neue Gestalt verleiht.

Doch wie ein bekanntes Sprichwort zum Ausdruck bringt: Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte; gibt es auch zwischen diesen beiden Extremen eine goldene Mitte. Diejenigen die diese Mitte, oft ohne es überhaupt zu ahnen, repräsentieren und aufbauen, zentrieren die fruchtbaren Aspekte beider Extreme und bilden damit den Keim für eine Gesellschaft des Zusammenhalts, der gegenseitigen Achtung und der Wahrung jeglicher individueller Freiheit. Durch das nach außen Tragen und Vorleben wirklicher gesellschaftlicher Alternativen, durch das stetige Bemühen um ein allumfassendes Verständnis und allem voran durch die Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen, ist diese Strömung der Inbegriff des Wandels und der geistigen Reifewerdung im Menschen – weg vom rationalen Materialismus und von der übertriebenen Esoterik hin zu einer lebendigen Spiritualität und einer damit verbundenen, heilsamen Wirkung auf Mutter Erde und deren Lebewesen.

Die beiden Extreme des Zuviel und des Zuwenig, in der Geisteswissenschaft als die luziferische und die ahrimanische Kraft beschrieben, also die beiden sich dual gegenüberstehenden Mächte, die wir als das Böse benennen und die auf uns einwirken, müssen durch Liebe und durch klares Denken geheilt werden, sie sollen, wie es ein altdeutscher Begriff ausdrückt, durch Buße tun hin zu einem besseren erhoben werden, hin zum Guten gelangen. Dazu ist ein gewisser Biss nötig, ein Biss, der zu Beginn vielen Menschen Schmerz bereiten wird, trennt er sie doch von liebgewordenen Gewohnheiten, drängt er sie doch hin zum selbständigen Denken und zur praktischen Umsetzung des theoretisch Erkannten. In all diesen Begriffen ist ein und dieselbe verwandelnde Kraft am Werke, wie wir an der Wortverwandtschaft vom Bösen über die Buße, dem Besseren bishin zum Biss erkennen können. In diesem Kontext wird eventuell auch einigen der Ausspruch des Mephistopheles (Ahriman) in Goethes Faust verständlich: „Ich bin Teil der einen Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Der Begriff Mephistopheles lässt sich übrigens in verschiedenen sprachlichen Gesichtspunkten beschreiben: Man kann den Begriff aus dem Hebräischen herleiten, von mephiz (der Zerstörer, der Verderber) und tophel (Teufel, altdeutsch te ubaldas Übel, der Lügner) oder aber aus dem Griechischen me (nicht) und phos (Licht), der das Licht meidende Teufel. Die alternative Bezeichnung Ahriman stammt aus der avestischen Bezeichnung Angra Manyu, was so viel wie arger Geist bzw. arger Mensch bedeutet. Den Beeinflussungen solcher Wesenheiten ausgesetzt, neigen die Menschen mitunter dazu, das tugendhafte Denken fallen zu lassen und sich den Reizen dieser Wesen hinzugeben. Da jede Handlung jedoch eine Rückwirkung auslöst, stellt sich oftmals ein Lerneffekt ein und der Mensch besinnt sich eines Besseren. An dieser Stelle sei jedem Leser selbst überlassen, sich weiterführende Gedanken dazu zu machen. Um wirklich umfassendes Verstehen des Lebens und seiner Grundlagen erreichen zu können, ist es notwendig, dem Menschen im Alltag mehr Achtsamkeit, mehr Bewusstheit zu eröffnen. Zu wenig wird gefühlt, was der andere sagt, was er ausdrücken möchte mit der Wahl seiner Worte, zu wenig wird nachgedacht über das, was ein anderer für sich erkannt und in sich verändert hat. Bei diesem ganz individuell gestalteten Vorgang des Erkennens kann ausgerechnet unsere Sprache uns große Dienste erweisen und davon soll in und zwischen den folgenden Zeilen die Rede sein. Wer das Wortspiel zwischen Böse, Buße, bessern und Biss wahrgenommen und die darauffolgenden Schilderungen beachtet hat, wird bereits erkannt haben, dass es vom Werden, von der Entwicklung handeln wird.

 

Der Ausdruck der Individualität

Einst Atem aus dem großen Geist,

Entfaltung brachte, schöpfend reich.

Ein Funke Unermesslichkeit,

erreichte liebend jeden Leib.“

Leben gestaltet sich immer individuell. Was genau heißt das, individuell? Die Individualität ist im Prinzip die unteilbare Mitte, das Ewige in einer endlichen Dualität. Im Lateinischen heißt dividere = teilen. Bekannt ist uns das aus dem Mathematikunterricht vom dividieren. Die Vorsilbe In drückt in diesem Falle die Verneinung einer Teilung aus. Das Individuum ist demnach ein Unteilbares, wenn auch vielseitiges Wesen, welches sich in der Dualität zwischen den beiden Angelpunkten des Zuviel und Zuwenig hin und her bewegen kann. Dadurch, dass wir als Individuen die Wahl haben, wieviel Gewichtung wir dem ein oder anderen Aspekt zukommen lassen, können wir uns als unteilbares Wesen frei in der aufgeteilten Welt, der Dualität bewegen. Nur dadurch, dass die Dualität besteht, können wir selbständig wählen und uns für eine der beiden Richtungen oder den Verbleib in deren Mitte entscheiden. Die Dualität bezeichnet demzufolge die Zweiheit (Duo), etwas Gespaltenes. Auf eine zusätzliche, den Zusammenhang erweiternde, Interpretationsmöglichkeit für das Wort Individualität wies mich mein guter Freund Tobias Ziebarth hin. Als er in Gedanken über den oben geschilderten Zusammenhang schwelgte, fiel ihm plötzlich der Englische Ausdruck divine (göttlich) ein. Dieser Begriff, den man ebenfalls ins Lateinische (Divinum, divinus) zurückverfolgen kann, scheint auf den ersten Blick gar nicht zu oben genannter Beschreibung zu passen. Dividere (teilen) und Divinus (göttlich), wie sollten diese Gegensätzlichkeiten gemeinsam harmonieren? Was hat das Duo, die Zweiheit mit diesem Göttlichen zu schaffen? Kurz gesagt bedeutet dies, dass das In-divi-duum nicht nur das Unteilbare darstellt, sondern, dass dieses Individuum auch aus der göttlichen Zweiheit (divi-dualität) hervorgeht. Wir können, wie bereits oben geschildert wurde, nur selbständig und frei wählen und uns somit individuell verhalten, weil wir in der gottgegebenen, gottgestalteten Dualität weilen und daher immer die Wahl haben. Die Vorsilbe In ist in diesem Falle dann eher mit nach zu deuten, da wir also nach der und gleichermaßen in die göttliche Zweiheit geschaffen wurden. Langsam kristallisiert sich heraus, wie umfangreich man diese Individualität zu deuten vermag. Die Silbe divi ist desweiteren urverwandt mit dem Lichtbegriff, da das Licht in den Sprachen auch anhand seiner individuellen Einfärbungen und Nuancen beschrieben und benannt ist. Eine Hauptgruppe davon bilden eine Vielzahl an Begriffen, welche auf die alte arische Lichtwurzel zurückzuführen sind. wurde im Altindischen teils mit fliegen übersetzt, was auf die bildhafte Erscheinung des fliegenden Pfeils, der mit dem Lichtpfeile der Sonne zu vergleichen ist, hindeutet. Die Arier dachten bei diesem Lichtbegriff an das physische, das helle Tageslicht. So finden wir von dieser Wurzel ausgehend die indische Silbe dyu, lateinisch dies, englisch day (alle für Tag), indisch Dyaus (Genitiv Divas) – der lichte Tageshimmel, griechisch Zeus (Genitiv Dios), Dyaus-pitar (Vater Himmel = die arische Lichtgottheit), was im Latein wiederum zu Jupiter (Dyu-pitar) wurde. Diese Silbe wurde fortgebildet zu div (leuchten), wovon das Indische deva (Gott) stammt, was eigentlich leuchtendes, strahlendes Wesen heißt. Im Latein finden wir wieder deus, griechisch dios, welches in beiden Fällen mit göttlich zu übersetzen ist. Dass in dieser Reihe auch die alte Bezeichnung der Maya und Azteken, teotl (Lautwandel von d zu t), was Gott und göttlich heißt passt und dass hier auch der Stamm der Begriffe rund um Deut-sch, deut-en, deut-lich usw. hingehört, sei noch am Rande erwähnt. Da wir nun aber von der Dualität, also diesem Gespaltenen, dieser Zweiheit sprachen, muss der Vollständigkeit halber folgendes mit angeführt werden: Auch der Wortstamm des englischen Wortes dev-il ist sprachlich nahe verwandt mit dem Begriff div-ine und dem Indischen dev-a! Die Devas, die auch Suras (Lichtwesen) genannt werden, haben als Widersacher die Asuras (die bösen Geister). In der indischen Mythologie besitzen die Suras und die Asuras dieselbe Wurzel, haben sich aber voneinander gespalten. Im Altpersischen wiederum gibt es die Bezeichnung Ahura, welche sprachlich mit Asura unverkennbare Verwandtschaft aufzeigt. Die Gottheit Ahura Mazda ist allerdings der gute Gott, die Ahuras sind demnach die guten Götter. Interessant hierbei ist ebenfalls, dass im Altpersischen die sogenannten Daevas die bösen Geister darstellen. Nicht ohne Grund wird daher auch der Teu-fel (ahd. Te ubal = das Übel) in einigen Schriften als Luzifer, der Lichtbringer bezeichnet. Auch die Widersachermächte, die beiden Seiten des Zuviel und des Zuwenig gehören untrennbar zur ursprünglichen göttlichen Natur. Sie entstammen der Einheit und sollen durch die Reifwerdung der Individuen transzendiert werden, ihnen soll die Liebe erschlossen werden, sie sollen erlöst werden und sie tragen gleichsam zur Erlösung der Seelen durch die Möglichkeit des Erkennens und Unterscheidens bei. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil der Dualität, sie stellen das Duo Ahriman und Luzifer dar, die beiden Pole des Bösen, welche der Besserung bedürfen. Das Individuum, der Christus, unser wahres Ich, steht in deren Mitte und ist der Richter dieses Duells, der die Ordnung und die Einigkeit wieder her-richtet! An dieser Stelle sei der Leser angehalten, sich eigene weiterführende Gedanken zu erfolgten Schilderungen zu machen. Das hier Dargestellte sollte vorerst wertungsfrei aufgenommen werden. Nur ein gründliches Durchdenken des eben aufgezeigten Sachverhalts wird es dem Leser ermöglichen, diesen in seiner Ganzheit zu erfassen. Weltweit können diese sprachlichen Spuren gefunden und nachvollzogen werden und es kann kein Zufall sein, dass die ältesten Sprachkreise so deutlich die Ver-zwei-gt-heit all dessen bezeugen. Eine eigene Abhandlung wäre notwendig um dieses Zusammenspiel in seiner Ganzheit aufzuzeigen. Was wir jedoch verbindlich festhalten können ist, dass die Individualität untrennbar mit dem Göttlichen verbunden ist.

Du bist andersZeichnung: Tommy James Peters

Nun drückt sich das Leben nicht allein individuell, sondern zusätzlich auch persönlich aus. Der Begriff Person, aus dem Lateinischen per- und –sonare zusammengesetzt, was zu übersetzen ist mit –von/-durch und tönen, also dem Durchtönen, zeigt uns deutlich, dass jede Person von etwas durchdrungen wird, dass etwas von der inneren Beschaffenheit eines Wesens nach außen tönt. Eine weitere Herleitungsmöglichkeit besteht in der Abkunft des Begriffes vom Lateinischen persôna, was Maske oder Rolle bedeutet. Besser noch erkennen wir die Essenz der Bedeutung, wenn wir das Wort Persön-lich-keit heranziehen. Die Silbe -lich bezeichnet den Leib. Die Bezeichnung Leib, im Altdeutschen lih, lieh, ist mit dem Lichtbegriff sehr eng verbunden. Licht hieß im Altdeutschen noch lioht, lih oder lieht, woran man die Ähnlichkeit zum Leibesbegriff erkennt. Die Endsilbe -keit hingegen stammt von der älteren Variante -heit ab. Heit ist das Heitere, Durchschimmernde, das Scheinende, Leuchtende und ist mit der Altdeutschen Silbe Ham verwandt, der Hülle. Das Wort Leichnam, im Altdeutschen noch lihham-o, bedeutet in etwa Leibeshülle, Lichthülle. Die Persönlichkeit ist, wenn wir so wollen, die Maske, die Lichthülle, das, was die leibliche Hülle ausstrahlt, also nur das Schein-bare. Die Silbe –bar, ebenfalls ein altdeutscher Begriff, heißt tragen, bringen. Das Scheinbare ist daher das, was den Schein trägt und ist eng verknüpft mit dem Ausspruch: Der Schein trügt. Dies kann sich entweder durch ein illusorisches Scheinbild unseres Selbst, was dann luziferisch beeinflusst ist oder aber durch ein Scheinbild der Selbstverleugnung, die besagt, dass der Mensch nichts anderes als ein Tier sei, was dann ahrimanisch beeinflusst ist, ausdrücken. Die Individualität hingegen ist das Ewige in uns, das Wahrhaftige, die Mitte zwischen beiden Extremen. Sie ist das, was sich von Erdenleben zu Erdenleben hindurchzieht.

Zusammengefasst ist die Persönlichkeit die vergängliche Hüllennatur mit der sich der unvergängliche, ewige Wesenskern für seine irdische Inkarnation umgibt um selbigen in einem Erdenleben zu seiner Entfaltung zu bringen. Das, was durch die Hülle der Person an uns heran drängt, ist diese einzigartige Wesenheit, die Individualität. Jede Seele offenbart sich gemäß ihrer Beschaffenheit, ihrer Eigenart und ihrer gewählten Persönlichkeit und wir spüren das, indem wir uns wohl oder unwohl fühlen in der Gegenwart bestimmter Personen. Es ist eine Art Klang, den wir auf physischer Ebene nicht wahrnehmen können, dessen Schwingung uns dennoch berührt und durchdringt. Die meisten Menschen nehmen diese Individualität in einer Person nur an Äußerlichkeiten wahr, anhand welcher wir dennoch erkennen können, wessen Geistes eine Person ist.

Meine Freundin beispielsweise liebt es, im Garten zu sein und sich dort mit den Pflanzen zu befassen. Was für andere wie Arbeit aussieht, ist für sie eine Methode, zu Ruhe und Ausgeglichenheit zurückzufinden. Der Friede, den die Pflanzen ausstrahlen, wirkt allgemein hin beruhigend auf den Menschen und der Mensch gibt der Pflanze durch seine Zuwendung wiederum die Möglichkeit sich zu entfalten und zur Reife zu gelangen. Das, was hier geschieht ist eine fruchtbare Tätigkeit, ein gegenseitiges Geben und Nehmen.

Ich hingegen, obwohl ich es liebe, in der Natur zu sein, befasse mich unter anderem lieber mit der Natur der Sprache, mit der Belebung meines Trinkwassers und fühle mich wohl, wenn ich dabei, in Gedanken versunken, Bilder vor mir sehe die sich zusammenfügen zu neuen Einsichten. Meine Freundin und ich teilen – und das nicht nur bei den geschilderten Beispielen – nicht unbedingt die gleichen Interessen. Im Gegenteil; wir sind sozusagen zwei Pole, zwei Polaritäten, was sich an vielen weiteren Beispielen deutlich machen ließe. Doch zusammen ergeben wir einen lebendigen, einheitlich agierenden, dynamischen Organismus, da wir uns förderlich ergänzen, und damit zusammen erreichen, was uns alleine verwehrt oder erschwert werden würde. Wir sind individuell, frei und bilden dennoch eine Einheit und genau das macht uns stark, genau das verleiht unseren Taten Kraft und Erfolg. Unser jeweiliger individueller sowie unser persönlicher Klang steht somit in einer anziehenden und gesunden Weise zueinander in Resonanz.

Wir können an diesem Beispiel erkennen, dass sich Polaritäten gegenseitig ergänzen können und dass beide Pole zusammen eine Einheit bilden. Anders verhält es sich bei der Dualität, die ein Ausdruck für eine Trennung ist, Ausdruck für eine potenzielle Ungleichverteilung. Wie man am Beispiel einer dualen Ausbildung sehen kann, sind meist Unterricht und Praxisteil ungleichmäßig verteilt. Im Unterschied zur Polarität weist die Dualität im Grunde genommen ebenso ein fundamentales Gleichgewicht auf, dennoch ist dies kein dynamisches, sich gegenseitig ergänzendes. In der Polarität stehen beide Seiten in einer Art Wechselwirkung zueinander, in der Dualität hingegen verfällt man zeitweilig in Einseitigkeiten.

 

Wenn wir nun unsere Welt betrachten, so erkennen wir, dass hier duale Verkettungen existieren. Wir können nahezu überall ein Zuviel oder ein Zuwenig beobachten und finden selten eine gesunde, fruchtbringende Ausgeglichenheit, wie sie etwa in der Natur zu finden ist. Das Leben in der Natur besteht auch aus Individualitäten, denn keine Pflanze und auch kein Tier sind genau gleich. Wir erkennen sicherlich an, dass eine Pflanzengattung oder eine Tiergattung sich ihrer Wesensart entsprechend ausdrückt, dessen ungeachtet sind doch alle Lebewesen verschieden. Der Unterschied, welcher momentan auf dem Planeten vorherrscht zwischen den menschlichen Individuen und seinen Gefährten der Tier-und Pflanzenwelt ist der, dass die Menschen es zu selten schaffen, in einem Gleichgewicht mit anderen Menschen oder der sie umgebenden Natur zu leben. Die Natur und deren Lebewesen stehen sich im Prinzip polar gegenüber, sie bedingen sich gegenseitig und ergänzen sich. Der Mensch hingegen verfällt gerne einer der beiden dualen Kräfte, welche eingangs genannt worden sind. Diese beiden Kräfte wollen den Menschen in ihren Einflussbereich ziehen, sie zerren an ihm und prüfen den Menschen mit allerlei Methodik. Die sogenannten luziferischen Mächte beeinflussen dabei unseren Willen und die Emotionen, die ahrimanischen Mächte hingegen setzen sich in unserem Denken fest und verursachen dort Unordnung. Der Weg der Menschheit besteht nun darin, die Einzigartigkeit des Einzelnen weiter zu entwickeln und gleichwohl in Einklang mit allem Umgebenden zu leben.

 

Der Ausdruck der Sprache

Jedes Wort eine Wesenheit in sich,

tritt werdend dir zu Angesicht.

Jedes Werden wirkt gestaltend auf das Sein,

erblüht in Reife, reift im Keim.“

Die Wirkungen beider erwähnten Kräfte auf das Leben habe ich im Laufe des bisher Geschilderten versucht zu verdeutlichen. Die eine Kraft will die Vereinheitlichung um jeden Preis, die andere Kraft hingegen will Trennung und Spaltung. So schwingen oft die Menschen wie ein Pendel hin und her zwischen beiden Seiten ohne dies direkt wahrzunehmen. Aus diesem Grunde ist die Achtsamkeit so wichtig, denn man kann sich selbst sehr gut dabei beobachten, welchem der beiden Einflüsse man gerade zu unterliegen droht. So kann man, insofern man ehrlich zu sich selbst ist, gegensteuern und sich bessern, sich in seiner Mitte halten.

Was hat es nun mit diesem Bessern, in Bezugnahme auf oben angesprochenes Wortspiel, auf sich? Unsere Sprache ist sehr deutlich, auch wenn sie ebenfalls den Einflüssen der beiden Kräfte unterliegt. Nun ist es kein Zufall, dass das Wort Böse (altdeutsch bausja oder bosi, bayrisch bees, so viel wie schlecht, schlimm oder schädlich bedeutend), mit dem Wort Buße und dem damit verbundenen sich bessern verwandt ist. Der sprachbildende Geist früherer Kulturen wusste noch um die geistigen Zusammenhänge in der Sprache und konnte so präzise zum Vorschein bringen, was im Inneren an Gefühl sich auf das von außen Hereinströmende regte. Es ist so, dass die Vokale in unserer Sprache stets das Gefühlte wiedergeben, während die Konsonanten dasjenige darstellen was im Außen vor sich geht. Da jeder Vorgang der Außenwelt auf uns eine Sinnesempfindung auslöst, ist es nur logisch, dass jedem Wort Vokale zugeordnet wurden und werden. Jeder weiß, dass er, wenn er sich beispielsweise vor etwas ekelt, iiiiih schreit oder dass, wenn er staunt, er dies durch ooooh zum Ausdruck bringt. Die Konsonanten hingegen kleiden diese Gefühlslaute in entsprechende Hüllen und hinter diesen Sichtbaren Hüllen sind wiederum geistige Wesenheiten existent. Wenn wir die Grundkonsonanten der eben beschriebenen Böse-Buße-bessern-Biss-Reihe betrachten, fällt uns die konsonantische Einheitlichkeit dieser auf: B-S. Die Vokale hingegen ändern sich je nachdem, welche innere Bedeutung den Konsonanten zugeordnet wird. Dass dabei ab und an formgebende Mitlaute hinzu kommen – wie bei bessern das R und das N, spielt eine tragende Rolle, soll aber hier aus Platzgründen unkommentiert bleiben. Jeder Mitlaut hat eine klare Bedeutung, einen individuellen Charakter. So wie beispielsweise das H den Hauch, den Atem (altindisch Atma=Lebenshauch) in eine Form bringt, ihn umhüllt oder das F eine meist offene Eigenschaft beschreibt, so gestaltet das P im Gegensatz dazu einen geschlossenen Laut. Beim Aussprechen des F benötigt der Mund seine Zähne und die Lippen bleiben offen. Beim P hingegen, bei welchem, wenn man es betrachtet auffällt, dass es wie ein F anmutet, nur mit einer Art Halbkreis, welcher die beiden horizontalen Striche des F abschließt, müssen wir die Lippen zusammenpressen, also verschließen. Wir können hier erkennen wie jede Veränderung eines Buchstabensymbols gleichsam eine Wandlung in seiner Bedeutung hervorruft. Somit ist es keine Überraschung, dass jeder Buchstabe, sowie auch jede Wortkreation, ein individuelles Sein hat. Wenn wir Buchstaben wie B und E gegenüberstellen, bemerken wir ähnliches Zusammenspiel.

Dass sich dementsprechend selbst in unserer vergleichsweise dekadent gewordenen Sprache – vergleicht man sie mit den hochstehenden, der einstigen Ursprache näher liegenden Idiomen – noch eine lebendige Bedeutung erhalten hat und das trotz aller künstlichen Einflüsse, sollte uns erschließen zu erkennen, dass sich Sprache gewiss stetig weiter entwickelt und nicht so einfach aussterben wird. Trotzdem können wir unser heutiges Alphabet sicherlich nicht auf eine geistige Stufe stellen mit dem griechischen oder dem hebräischen oder gar dem Avesta, in denen jeder Buchstabe noch ein eigenes Wort darstellte, wie beispielsweise im Hebräischen Aleph (Rind), Bet (Haus), Chet (Leben) usw. Hier bleibt nicht der Raum, ausführlich auf die esoterischen Aspekte und Bedeutungen der alten Alphabete einzugehen, dies wird jedoch sicherlich in Zukunft anderweitig umsetzbar sein. Vorerst soll es genügen zu erwähnen, dass sich unsere Sprache in Zukunft – wie auch die ganze Gesellschaft – weiter individualisieren wird und dennoch gleichzeitig wieder so lebendig aufzukeimen beginnt, dass die Menschen auf der Erde sich wieder besser verstehen und intensiver empfinden werden.

 

Einsichten und Aussichten

Wenn Leben sich durch Nebel hat verdeckt,

scheinbar sich Übel über Liebe hat erstreckt,

erhebe dich in Gottes Namen,

steig auf den Berg, verlass den Graben!

Dann wirst du sehn, die Liebe trägt den argen Geist,

damit er spürt was Reifwerdung der Seele heißt.“

Ich möchte nun ein Beispiel geben, an welchem wir erkennen können, dass auch in der stark veränderten, verwandelten deutschen Sprache noch bedeutungsvolles Gefühl und Leben vorhanden ist. An dieser Stelle kann nur ein winzig kleiner Einblick in das Wunder der Klarheit der Sprache gegeben werden, der Interesse erwecken soll, selbständig unsere Sprache zu erforschen und ihr achtsamer gegenüberzutreten. Mit folgendem Exempel möchte ich versuchen aufzuzeigen, wie Polarität in unserer Sprache in Gestaltungen sich auszudrücken vermag, die gut versteckt und selten auffindbar sind. Die babylonische Sprachverwirrung hat hier effizient gearbeitet und viele Wahrheiten verdeckt.

Nehmen wir ein Beispiel, welches auf der einen Seite die Höhe, eine Erhebung ausdrücken soll, und auf der anderen Seite eine Vertiefung. Dazu wähle ich nun, da wir die Außenwelt beschreiben wollen, ein häufig auftretendes Konsonantengefüge aus: B, R und G. Dem noch nichtssagenden, willkürlich anmutenden Gefüge B-R-G fügen wir nun einen Gefühlslaut, einen Vokal hinzu. Dieser soll ein E sein. So erhalten wir den Begriff Berg und wir haben den Ausdruck für eine Erhebung gefunden. Spiegeln wir nun das Konsonantengefüge, erhalten wir in diesem Fall den gegenteiligen Pol dazu, nämlich G-R-B. Fügen wir hier ein U als Vokal ein, welches bezeichnenderweise eine Wölbung nach unten hat, sowie eine E am Ende, erhalten wir das Wort Grube. Ist es nicht beeindruckend zu sehen, dass die Grube dieses U mit besagter Wölbung nach unten in die Tiefe aufweist und das zum Ende des Begriffes ein E auftaucht, welches aufzeigt, dass die Grube nicht verschlossen ist? Ich bin mir in Klaren darüber, dass das in der heutigen Zeit nicht mehr bei vielen, sich polar gegenüberstehenden Worten so präzise der Fall ist und dass auch nicht jede in Worte gefasste Polarität sich so aufzeigen lässt. Bedenken wir jedoch, dass es einst eine Ursprache gab, die eine Essenz, eine ursprüngliche, reine Fassung aller heutigen Sprachen darstellte und die durch ihre Dynamik und Lebendigkeit nicht zu vergleichen ist mit den heutigen Sprachen, können wir uns ausmalen wie prägnant und offenbarend diese Sprache gewesen sein muss. Heute sind von dieser Ursprache in allen Sprachen der Welt noch immer Überreste vorhanden. Es gibt Sprachen, die das Gefühlsmäßige mehr betonen als andere. Einige Sprachen sind auf einer gewissen Entwicklungsstufe stehengeblieben und sehr dekadent geworden, was sie in Zukunft aussterben lassen wird. Andere Sprachen, wie die Deutsche eine ist, entwickeln sich weiter fort, sie behalten ihre individuellen und dynamischen Wurzeln und lassen sich nicht durch Vermischung mit anderen Idiomen ausrotten. Solche Sprachen eignen sich viel besser, um eine Sprachforschung in unserem Sinne zu betreiben, als es beispielsweise mit der modernen Weltsprache Englisch möglich ist. Viel besser lässt sich anhand der deutschen Sprache in geistige Bereiche vordringen, die uns die Deut-ung (vgl. mit Deut-sch – sowie Deus – göttlich – gottgestaltet), der Entwicklung und die Rückführung zur Quelle des Werdens ermöglichen. Im Vergleich mit anderen, der Ursprache nahestehenden, Idiomen wie Hebräisch, Altindisch, Altgriechisch, Altpersisch (Avesta), dem Semitischen oder dem Ägyptischen können wir hier auf essenzielle Wahrheiten der Schöpfung stoßen, wie weiter oben schon angedeutet wurde.

Ein weiteres, anschauliches Beispiel stellt das Konsonantengefüge F-S-C-H dar. Schon auf den ersten Blick möchte man hieraus den Fisch werden lassen. Dem Fisch, der unter dem Wasser sein Zuhause hat, ihm kann man nun das Schiff (S-C-H-F) gegenüberstellen, welches über dem Wasser sich findet. An der Weinrebe (Rebe = R-B) reift die Beere (B-R) heran. Wie schon betont wurde, ist es nicht die Regel, dass sich Gegensätzliche Begriffe auch in einem genau gegensätzlichen Konsonantengefüge zeigen. Dennoch ist hier aufgezeigtes keine Spielerei sondern eine wichtige Spur auf der Suche nach der Entstehung der Sprache.

 

Das hier lediglich schemenhaft Skizzierte diente dazu aufzuzeigen, dass Sprache etwas Lebendiges ist und dass Lebendiges sich immer individuell gestaltet sowie stetig dem Werden, dem Wandel unterliegt. Einiges wäre an dieser Stelle noch über die Entstehung der Ursprache und die Spaltung derselben zu sagen. Zu wenige Beispiele fanden Platz hier erwähnt und umschrieben zu werden. Doch möglicherweise konnte ich das Interesse wecken und Impulse setzen, sich wieder mehr mit unserer Sprache zu befassen, wieder zuzuhören bei dem, was das Gegenüber einem sagt, sich einzufühlen in das, was er mit dem Gesagten auszudrücken vermag um dadurch seinen individuellen Werdegang, seinen inneren Wesenskern besser verstehen zu lernen.

Weiterführende und detailliertere Schilderungen zu den Themenkomplexen des Werdens und Reifens der Menschheit findet ihr auf der Internetpräsenz www.die-philosophie-des-lebens.de.

Oliver Heinl.

 

01. August 2013 von Christa Jasinski
Kategorien: Sprache | 4 Kommentare

Kommentare (4)

  1. Lieber Oliver,

    Dein Artikel gefällt mir ausgesprochen gut. Ich habe bisher noch nichts über die Sprache gelesen, was so klar die Hintergründe zwischen Sprache und Individualität heraus gestellt hat. Ich danke Dir sehr dafür!

    Christa

  2. Einfach ein großes DANKESCHÖN…

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