Die essbaren Städte

Lange Zeit vor dieser neuen Bewegung – in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts – gab es in New York bereits auf Brachflächen Gemeinschaftsgärten, in denen eine Art kollektive Landwirtschaft betrieben wurde. Von dort aus breitete sich die Idee über ganz Nordamerika aus. Diese Bewegung war der Ursprung der Idee, die seit den 90er Jahren immer mehr Zuspruch auch in Europa findet. Es kamen neue Konzepte hinzu und die Bewegung fand bei uns mehr und mehr Anhänger und sie wurde gelebt, in der einen oder anderen Form.

Die Community Gardens von New York waren die Vorläufer des Guerilla Gardenings – einer ursprünglich ungesetzlichen Übernahme öffentlicher Grünflächen in den Städten. Man wollte mit diesen Aktionen die Städte zurückerobern und der Natur zurückgeben. Eine ehemals politisch motivierte Aktion des „Ungehorsams“ war die Initialzündung für die Nutzung von Verkehrsinseln und Brachflächen innerhalb der Städte für den Gemüseanbau.
An unzugänglichen Orten wurden Samenbomben verteilt. Dies sind Kugeln aus Erde und Kompost, in die Samen von Pflanzen eingeknetet werden. Nach dem Ausbringen werden diese Kugeln sich selbst überlassen und sie fangen an bei Regen aufzuquellen und die enthaltenen Samen beginnen zu keimen.

Die englische Stadt Todmorden machte vor einigen Jahren von sich reden. Zwei Frauen begannen, Grünflächen und brachliegende Grundstücke in der Stadt mit Gemüse anzupflanzen und das Obst und Gemüse gratis anzubieten. Sie entfernten ihre Gartenmauer und luden Passanten ein, zu nehmen, was sie brauchen können. Auf ein Schild schrieben sie: „Kommt und bedient Euch“. Inzwischen sind städtische Grünflächen, Brachland, ja sogar Gräber, auf denen ihrer Aussage nach sich die fruchtbarste Erde befindet, mit Gemüse bepflanzt und die Bewohner können sich selbst für den Eigenbedarf versorgen. Es steht jedem Einwohner zur Verfügung. So kann man auch schnell auf dem Heimweg noch etwas Gemüse fürs Essen im Vorbeigehen ernten.
Kritikern zum Trotz blieb es in Todmorden nicht bei einem „Selbstbedienungsladen“ sondern die Bevölkerung beteiligt sich aktiv am Programm der essbaren Stadt. Es wird gepflanzt und gesät, gewässert und geerntet, es finden Kurse statt, wie man die Produkte haltbar machen kann. Die Programme laufen in Schulen und die Kommunikation in der Bevölkerung hat zugenommen. Also zusätzlich zu dem Aspekt der Selbstversorgung ist ein besseres soziales Umfeld entstanden.

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Diese Idee wird inzwischen immer mehr von anderen Städten aufgegriffen, auch wenn die Randbedingungen mitunter anders sind. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Begriffe für diese Art von Obst- und Gemüseanbau, je nach dem, wie das Konzept gestaltet ist und in Abhängigkeit der vorhandenen Möglichkeiten, angefangen bei Guerilla Gardening, Urban Gardening, über essbare Städte, Beet-to-you, Gemeinschaftsgärten und Stadtacker, bis hin zu Nachbarschaftsgärten und begrünten Dachgärten. Nicht zu vergessen natürlich auch die Schrebergärten, die ja schon lange vor dieser Bewegung an der Peripherie der Städte existierten und als Naherholungsorte und „Nerventankstellen“ für die geschlauchten Städter fungierten und zudem noch einen Großteil an Obst und Gemüse auf den heimischen Tisch brachten.

Die Stadt Andernach hat beispielsweise Grünflächen in Gemüsebeete umgewandelt und die Bevölkerung kann sich daran bedienen. So wachsen heute Kohlrabi und Tomaten wo früher Tagetes und Begonien blühten. Der Anbau von Obst und Gemüse in den Rabatten der Stadt ernährt die Bewohner, die sich dort eindecken können. So kann man auf dem Heimweg schnell in der Stadt noch einen Salat ernten oder eine Lauchstange mitnehmen, die dann zu Hause frisch zubereitet werden können. Was anfänglich noch mit Vorsicht aufgenommen wurde, nämlich dass Pflücken erlaubt ist, wurde inzwischen zur Normalität. Die Bürger werden auch aufgefordert, sich Samen zu nehmen und die Pflanzen im eigenen Garten anzusiedeln. Artenvielfalt ist in Andernach das Ziel, so werden auch wieder alte Sorten angebaut und Wildpflanzen werden kultiviert, um die Bienen in die Stadt zu locken.

Jedes Jahr wird steht eine andere Pflanze im Mittelpunkt, was das Konzept zusätzlich noch attraktiver macht. Waren es im Jahr 2010 verschiedene Tomatensorten, so gab es 2011 ganz unterschiedliche Bohnengewächse, im Jahr 2012 konnte man sich an der Vielfalt der Zwiebeln erfreuen und 2013 stehen Kohlsorten im Mittelpunkt.
Das System in Andernach hat noch weitere Vorteile, nämlich, es wird weniger Wasser benötigt als früher, wo die Blumenrabatten feucht gehalten werden mussten und die Gemüsebeete sind weniger arbeitsintensiv – insgesamt werden also auch sogar Kosten gespart.
Das System Andernach findet mittlerweile auch in anderen Städten Nachahmer, was zeigt, dass die Idee auf fruchtbaren Boden gefallen ist.

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An anderen Orten werden Hinterhöfe oder auch Dachgärten zu Gemeinschaftsgärten gemacht, in denen die Bewohner der angrenzenden Häuser ihr Gemüse ernten können. Diese Art des Gemüseanbaus nennt man auch Nachbarschaftsgärten. Es gibt sie inzwischen in Wien, Berlin, Basel, München und anderen Städten. Die Nachbarn tun sich zusammen, pflanzen zusammen an, ernten zusammen und es ergibt sich so ganz nebenbei eine gute Nachbarschaft und ein guter Zusammenhalt. Ein System, das also viele Vorteile bringt und zudem die Menschen aus der Anonymität herausholt.

In Leipzig wird auf brach liegendem Gelände ehemaliger Fabriken Gartenbau betrieben. Das Land wird entweder parzelliert und für den Eigenbedarf bewirtschaftet oder unparzelliert für den allgemeinen Bedarf bepflanzt. Solche Konzepte gibt es inzwischen auch in verschiedenen anderen Städten, wie Berlin, New York, Chicago und Detroit. Durch die Abwanderung der Industrie drohen Städte wie Detroit oder auch Leipzig in gewissen Vierteln zu Geisterstädten zu werden. Diese Bereiche lassen sich hervorragend für den Anbau von Gemüse und Obst nutzen. Auch hier sind mehrere Vorteile ersichtlich. Die Bewohner können einen Teil ihres Bedarfs selbst erzeugen, das Land wird bewirtschaftet und Menschen mit ähnlichen Ideen finden zueinander

Ein – meiner Meinung nach – sehr cleveres Konzept ist GemüseSelbstErnte, ein Projekt der Uni Kassel nach österreichischem Vorbild. Hier kann man für eine Saison bereits bepflanzte Parzellen mieten und dann nach Herzenslust ernten. Im November gibt man die Parzelle wieder ab. Für die Miete fällt ein einmaliger Betrag pro Saison an.
Der Vorteil ist, dass die Geräte fürs Gärtnern vorhanden sind und für „Anfänger“ gibt es fachkundige Unterstützung. Nach der Ernte kann jeder Nutzer selbst entscheiden, was er setzen oder aussäen möchte. In Österreich gibt es solche Selbsternte-Gärten bereits an 14 Standorten.

Interkulturelle Gärten verfolgen mehrere Ziele. Einerseits soll der Bezug zur Natur wieder gefördert werden und die Natur auch in den Städten „er“lebbar sein, darüber hinaus wird auch ein Erhalt der Pflanzenvielfalt gefördert. Mit dieser Art des Gärtnerns wird aber auch die Integration von Angehörigen anderer Kulturen und die Völkerverständigung gefördert. Der erste Garten dieser Art entstand 1996 in Göttingen. Inzwischen gibt es zahlreiche interkulturelle Gärten in ganz Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz, hier vor allem am Rand von Zürich, Bern und Basel.

Eine besondere Art der Abfallverwertung findet immer mehr Beachtung. Auf kleinstem Raum werden Kräuter und Gemüse in umfunktionierten Tetrapaks, aufgeschnittenen PET-Flaschen, ausgedienten Plastiksäcken, geleerten Getränkedosen oder Joghurtbechern, altem Geschirr und anderen Behältnissen – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt – gepflanzt. Behältnisse, die ihrem ursprünglichen Zwecke entsprechend ausgedient haben. Auch hier ist der naturnahe Anbau ein wichtiges Kriterium. Diese Gärten stehen den Endverbrauchern an bestimmten Tagen zur Verfügung, wo sie – ähnlich wie auf dem Wochenmarkt – ihren Bedarf gegen einen Unkostenbeitrag decken können. Es gibt aber auch Veranstaltungen mit informativem Hintergrund oder zum Zwecke Pflanzen und Sämereien zu tauschen.

Die Bewegung der essbaren Städte hat viele Facetten und birgt für jeden Bürger etwas, bei Interesse. Eine gute Entwicklung, wie ich meine, die uns alle in den Städten der Natur wieder ein Stück näher bringt. .

 

Marie-Luise Stettler

 

10. Juni 2013 von Christa Jasinski
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